Versuch 3.5

 

GAMMA-RADIOGRAFIE

 

1.Grundlagen.

Die Gamma-Radiografie stellt eine Methode zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung dar. Die Strahlenquelle entwirft auf einem fotografischem Film (oder einem anderen Detektor) ein Schattenbild des durchstrahlten Werkstücks. Das Prinzip der Methode ist in Abbildung 1 dargestellt. Da die Schwächung von Gammastrahlung mit der Dichte des Materials und der Ordnungszahl zunimmt, durchdringt die Strahlung Fehler im Material, z.B. Gaseinschlüsse, wesentlich besser. Da die Filmschwärzung proportional zur erhaltenen Dosis ist, erscheinen Fehlstellen, z.B. Gaseinschlüsse, auf dem Film nach der Entwicklung als Stellen verstärkter Schwärzung.

Wegen der großen Durchdringungsfähigkeit von Gammastrahlen können Werkstücke aus Stahl mit dem Radionuklid Cobalt-60 z.B. über 10 cm bis zu 20 cm Wandstärke auf Lunker, Risse, Poren und andere Fehlstellen untersucht werden. Geringere Wandstärken bei 4 cm bis 9 cm werden vorteilhaft mit Iridium-192 untersucht.

Um möglichst scharfe Aufnahmen zu erzielen, darf der Abstand zwischen Strahlenquelle und Werkstück nicht zu klein gewählt werden. Andrerseits bedeuten große Entfernungen lange Belichtungszeiten, so dass zwischen den Forderungen nach hoher Bildschärfe und geringer Belichtungszeit u.U. Kompromisse geschlossen werden müssen. Zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung mit Röntgen- und Gammastrahlen existieren mehrere DIN - Normen, z.B. DIN 54109 und DIN 54111, die zur Vorbereitung und Ausarbeitung dieses Versuchs benutzt werden sollen. Darüber hinaus wird auf die Literatur verwiesen, die zum Teil im Isotopenlabor ausgeliehen werden kann.

 

 

2. Belichtungszeit, Filmart.

Die nötigen Belichtungszeiten hängen im wesentlichen von folgenden Faktoren ab:

 

a. Aktivität der verwendeten Strahlenquelle.

b. Energie der Gammastrahlung, d.h. Art des Radionuklids.

c. Wandstärke des Werkstücks  (Durchstrahlungsdicke).

d. Entfernung Strahlenquelle - Film.

e. Filmempfindlichkeit.

 

Es ist üblich, die benötigten Belichtungszeiten aus sog. Belichtungsdiagrammen  zu entnehmen. Die Abbildungen 2a und 2b zeigen derartige Diagramme für die Filme Structurix D5 und D7 der Firma Agfa und das Werkstückmaterial Stahl (Eisen) für die Radionuklide Cobalt-60 und Iridium-192. Gegeben wird der sog. Belichtungsfaktor (in Curiestunden) in Abhängigkeit von der Durchstrahlungsdicke und dem Parameter Entfernung Strahlenquelle - Film. Danach muss der Film D7 bei einer Durchstrahlungsdicke von 10 cm Stahl und einer Entfernung von 25 cm mit dem Belichtungsfaktor von (gerundet) einer Curiestunde belichtet werden. Das besagt, daß mit einer Strahlenquelle des Nuklids Co-60 der Aktivität von einem Curie eine Stunde belichtet werden muss, oder mit der Aktivität von zehn Curie eine Zehntel Stunde gleich 6 Minuten. Die Abbildungen 2 gelten für die meist verwendete (in DIN auch vorgeschriebene) Schwärzung 2.

 

Diese relativ kurzen Belichtungszeiten werden nur dank von Verstärkerfolien  erreicht, in die der Film eingelegt ist. Dies hat folgenden Grund: Wegen der geringen Dicke der eigentlich strahlenempfindlichen Filmschicht durchdringen fast alle Photonen der Gammastrahlung diese Schicht, was zu hohen Belichtungszeiten führen würde. Die Verstärkerfolien bestehen aus Bleischichten mit etwa 0,027 mm Dicke. In diesen Schichten löst die Strahlung u.a. durch Comptoneffekt Elektronen aus, die den Film dann zusätzlich belichten. So können die benötigten Belichtungszeiten je nach den speziellen Bedingungen um den Faktor 2 bis 6 erniedrigt werden. Gleichzeitig wird niederenergetische Streustrahlung, die von allen Richtungen her kommen kann, geschwächt. Der hier meist benutzte Film Structurix D7 besitzt mittlere Körnigkeit , eine mittlere Empfindlichkeit und gute Detailerkennbarkeit. Es ist ein in der Industrie häufig verwendeter Film. Der Film D5 dagegen ist feinkörniger und muss daher etwas länger belichtet werden. Die Abbildung ist jedoch besser als bei D7.

 

Die innere Unschärfe hängt im wesentlichen ab von der Energie der Gammastrahlung und etwas von der Korngröße des Films. In etwa entspricht die innere Unschärfe der Reichweite der Comptonelektronen, die von der Strahlung in der Verstärkerfolie und in der Filmschicht freigesetzt werden. Normalerweis wird angegeben: Für Co-60 liegt die innere Unschärfe bei 0,3 mm, für Iridium-192 wegen der geringeren Strahlenenergie bei 0,2 mm.

 

In der Praxis werden zur Festlegung der Belichtungszeiten auch Belichtungsschieber verwendet.

 

3.Optimale Entfernung.

Die Entfernung der Strahlenquelle vom Film sollte so gewählt werden, daß die die Unschärfe bewirkenden Halbschattenzonen mindestens der inneren Unschärfe entsprechen. Die Halbschattenzonen hängen nicht nur von der Entfernung, sondern auch von der Größe des aktiven Teils der Strahlenquelle ab. Die Herleitung (sieh z.B. Vorlesungsmitschrift Isotopentechnik) ergibt:

 

In den DIN - Normen wird (etwas ungenauer, in der Praxis jedoch

ausreichend) ein Mindestabstand f gefordert, der sich mit einer

anderen Formel wie folgt errechnet (Prüfklasse B):

 

 

4. Bildgüte, Bildgüteprüfkörper.

In der Praxis werden von den Behörden sehr häufig Mindestanforderungen an die Qualität der Durchstrahlungsbilder gestellt. So werden in den DIN - Normen zwei Prüfklassen definiert:

 

Prüfklasse A:  Allgemeine Prüftechnik,

Prüfklasse B:  Prüftechnik mit höherer Prüfempfindlichkeit.

 

Mit Co-60 kann z.B. in Klasse A der Bereich von 20 bis 100 mm Stahl geprüft werden, bei Klasse B jedoch erst ab 60 mm bis 150 mm Durchstrahlungsdicke. Man erkennt daraus, dass die harte Strahlung des Radionuklids Co-60 nur im Bereich von 60 bis 150 mm Stahl gut abbildet. Iridium-192 ist in Klasse A von 20 bis 100 mm zugelassen, in Klasse B im Bereich von 40 bis 90 mm.

 

Um die Qualität der Abbildungen genauer angeben zu können, wird die sog. Bildgütezahl BZ  definiert: Die Bildgütezahl ist ein Maß für die geforderte oder erzielte Bildgüte. Die BZ wird wie folgt bestimmt: Es wird bei der Aufnahme etwas seitlich von der Achse ein sog. Bildgüteprüfkörper BPK  auf das Werkstück gelegt, das ist ein dünner Kunststoffbehälter mit sechs eingelegten Drahtstegen unterschiedlichen Durchmessers. Diese Drahtstege bestehen aus demselben Material wie das Werkstück. Insgesamt gibt es nach DIN sechzehn unterschiedliche Drahtstege mit Durchmessern von 3,2 bis 0,1 mm, die wie folgt auf drei BPK mit je 6 Drahtstegen aufgeteilt werden:

 

Z.B. für Eisenwerkstoffe:

 

BPK FE 1/7     Drahtnummer. 1  bis 7,  Durchmesser: 3,2  - 0,80 mm;

BPK FE 6/12   Drahtnummer. 6  bis 12, Durchmesser: 1,0  - 0,25 mm;

BPK FE 11/16 Drahtnummer. 11 bis 16, Durchmesser: 0,32 - 0,10 mm;

 

Der dickste Draht mit 3,2 mm Durchmesser entspricht der Bildgütezahl 1, der dünnste Draht mit 0,1 mm Durchmesser der höchsten Bildgütezahl 16. Je höher die Bildgütezahl, desto besser ist die Aufnahme. Bei Co-60 und einer Werkstoffdicke von S = 100 mm kann z.B. bei Stahl die Bildgütezahl 7 erreicht werden, d.h. man kann einen Drahtsteg von 0,8 mm Durchmesser auf 100 mm Stahl liegend auf dem Bild noch erkennen.

 

Aus dieser Angabe sind auch die Grenzen des Verfahrens zu erkennen: Einschlüsse oder Gasblasen mit Abmessungen in Strahlrichtung, die wesentlich kleiner als etwa 1% der Werkstoffdicke sind, können nicht erkannt werden.

 

 

5. Aufgabe:

Es steht eine Co-60-Strahlenquelle (Aktivität am 9.10.1979 4,6 Ci, strahlendes Volumen 2 * 2 * 2 mm3) zur Verfügung. Die moderne tragbare Ir-192-Quelle steht für Bestrahlungen nicht mehr zur Verfügung. Wegen der kurzen Halbwertszeit von Ir-192 (74 Tage) muss diese Quelle einmal im Jahr neu gekauft werden. Meist wurde eine frische Aktivität von 30 bis 50 Curie gekauft, die dann etwa für ein Dreivierteljahr ausreicht. Die genauen Quelleneigenschaften werden in einem mitgelieferten Zertifikat dokumentiert.

 

Es soll Beispielhaft mit der Co-60 Quelle eine Aufnahme belichtet werden und die Qualität von vorhandenen Aufnahmen verglichen werden. Wichtig: Für die Auswertung benutzte ältere Bilder immer unzerschnitten wieder abgeben!

 

5.1 Durchstrahlung von Schweißnähten.

Zwei äußerlich nicht zu unterscheidende Schweißnähte werden mit Co-60 durchstrahlt. Die gute Schweißnaht ist zu identifizieren und die Bildgütezahlen sind zu bestimmen.

 

Hinweis: Wegen der für Werkstoffprüfung relativ schwachen Quelle werden die Belichtungszeiten für den für Co-60 optimalen Bereich von 60 bis 150 mm Stahl zu lang. Daher wird im Praktikum in einem für Co-60 sehr ungünstigen Bereich bei 2 cm Stahl gearbeitet. Die Bildgüte ist dementsprechend gering! Auch für Ir-192 ist die Dicke der Werkstücke mit 2 cm nicht günstig. Man bestimme bei der Vorbereitung anhand Abb.1 die dafür benötigte Belichtungszeit und optimale Entfernung. Man vergleiche mit der DIN-Formel.

 

5.2  Untersuchungen an einem Probekörper.

Einige Probekörper, z.B. der in Abbildung 3 gezeigte Block, wurden speziell für die Durchführung des Labors hergestellt. Sie enthalten Bohrungen mit unterschiedlichen Durchmessern, anhand derer die Detailerkennbarkeit, die Verzeichnung, die Abbildungsschärfe und dergleichen bei variablen Aufnahmebedingungen studiert werden können. Sie liegen mit der Durchstrahlungsdicke teilweise im optimalen Bereich von Ir-192, aber auch für Co-60 noch einigermaßen günstig. Wegen der notwendig langen Bestrahlungszeit sind die Filme für Co-60 Aufnahmen schon vorher belichtet und entwickelt worden.

 

5.3 Aufnahme eines Motorenblocks.

Die durch den geometrischen Strahlengang hervorgerufene Verzeichnung außerhalb der Strahlenachse ist an den regelmäßig angeordneten Ventilschächten eines Motorblocks zu studieren. Dazu belichte man eine Aufnahme, bei der ein Ventilschacht genau in die Achse gelegt wird, die anderen parallel liegenden immer weiter außerhalb der Achse liegen. Die Verzeichnung ist in der Ausarbeitung zu diskutieren.

 

5.4 Einfluß der Belichtungsdauer und des Films.

Nach Möglichkeit vergleiche man bei derselben Aufnahmegeometrie den Einfluss verschiedener Belichtungszeiten. Die normale Schwärzung des entwickelten Films soll 2 betragen. Damit ist die Schwärzung so stark, dass die Aufnahme nur mit einem Filmbetrachtungsgerät betrachtet werden kann. Man vermindere die Belichtungszeit nach dem Belichtungsschieber derart, dass die Schwärzung 1 erreicht wird. Wie verändert sich die Bildgüte?

 

Weiterhin ist ein Vergleich der Filmsorten D5 und D7 durchzuführen.

 

 

6. Strahlenschutzhinweis.

Die Richtlinie "Physikalische Strahlenschutzkontrolle" verlangt für die zerstörungsfreie Werkstoffprüfung mit Strahlungen eine intensive Strahlenschutzüberwachung.

 

a) Amtliches Dosimeter: Filmplakette,

b) Direkt anzeigendes Dosimeter: Elektronisches Alarmdosimeter,

c) Sofort akustisch und optisch warnendes Dosisleistungsmessgerät.

 

Für die Durchführung des Praktikums sind von allen Studenten elektronische Alarmdosimeter zu tragen. Ein sofort anzeigendes Gerät ist bei jedem Betreten des Strahlenschutzbunkers mitzuführen.

 

 

7. Fragen und Hinweise zur Ausarbeitung.

Für die Ausarbeitung dieses Versuchs ist es wichtig, die DIN - Normen zur Hand zu haben und weitere Literatur. Bitte besorgen Sie sich Literatur oder lassen Sie sich Unterlagen geben! Im Isotopenlabor sind insbesondere einige Exemplare der unten zitierten Unterlagen

 

7.1 Wie viel Prozent der Photonen des Co-60 (die beiden Photonen mit Wγ = 1,17 und 1,33 MeV können mit der mittleren Energie Wγ = 1,25 MeV behandelt werden) verursachen in einer Schicht von 10 cm Eisen Wechselwirkungen? Wie viel Prozent verursachen in der Verstärkerfolie (0,1 mm Blei) Wechselwirkungen? Es sind die Schwächungskoeffizienten von Blei und Eisen aus den Unterlagen zur Vorlesung zu verwenden.

 

7.2 Man schätze die Strahlendosis ab, die gut geschwärzte Filmstellen erhalten. Dabei berücksichtige man die Wirkung der Verstärkerfolien.

 

7.3 Wie lange müsste eine 10 cm starke Stahlschicht mit direkt dahinter liegendem Film durchstrahlt werden, wenn die Strahlenquelle aus technischen Gründen nur bis auf 90 cm Entfernung an die Oberfläche der Stahlschicht herangebracht werden kann? (Co-60, 10 Curie, D7).

 

7.4 Wie ist die Schwärzung des Films definiert?

 

7.5 Welche Vor- und Nachteile weist die Gamma - Radiografie im Vergleich zu anderen Prüfmethoden auf?

 

 

8. Literatur.

8.1 DIN Normen  Nr.54 109 Teil 1, 1987 und Nr. 54 111 Teil 1, 1988

8.2 Agfa - Gevaert: Industrielle Radiographie.

8.3 Agfa - Gevaert: NDT Produkte u. Systeme: Structurix, technische Daten zu Röntgenfilmen.

8.3 Hanle: Isotopentechnik; Thiemig 1976.

8.4 Diverse Lehrbücher der Werkstoffprüfung.

 

 

 

 

 

Belichtungsdiagramme für Kobalt 60 und Stahl (Fe) Film D5 und D7

 

Dens. S = 2. Pb - Folien: Vorderfolie: 100 µm - Hinterfolie: 150 µm

Autom. Entw.: G 135, 30 °C, Zyklus 8'.

 

 

Belichtungsdiagramme für Iridium 192 und Stahl (Fe) Film D5 und D7

 

Dens. S = 2. Pb-Folien: Vorderfolie: 100 µm - Hinterfolie: 150 µm

Autom. Entw.: Gl35, 30 °C, Zyklus 8'.

 

 

 

 

Belichtungsdiagramm für Co-60

 

Belichtungsdiagramm für Ir-192